On Justice

Eine Diskursreihe

    75 Jahre Grundgesetz

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    1949 wurde als Reaktion auf Staatsterror und Genozid des Nationalsozialismus das Grundgesetz verabschiedet. Mit der Verantwortung für ein “Nie Wieder” sollte es eine erneute Selbstabschaffung der Demokratie und die Unterwanderung von Grundrechten verhindern.
     
    Heute, 75 Jahre später, scheinen Demokratie und Grundrechte angesichts illiberaler und autoritärer Tendenzen so stark gefährdet wie schon lange nicht mehr. Droht die Gefahr nur von einer rechtsstaatsfeindlichen Partei wie der AfD, die mit legalen Mitteln an die Macht kommen und das Grundgesetz aushebeln könnte? Werden diese Rechte bereits jetzt übermäßig eingeschränkt, im Namen politischer Ziele wie Staatsräson, Kriegstüchtigkeit oder wehrhafter Demokratie?
    Amnesty International etwa beklagt zunehmende Verletzungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen.

    Das Grundgesetz wird damit zu einer der Hauptachsen der Verteidigung demokratischer und pluraler Gesellschaft. Ist dieses in der Nachkriegszeit erdachte Grundgesetz für die pluralen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts noch passend? Ist es auch heute noch strukturell geeignet, Diskriminierungen und Ausschlüssen entgegenzuwirken? Brauchen wir angesichts der momentanen Gefahren mehr Grundgesetz, oder müssen wir das Grundgesetz insgesamt anders denken? Ralf Michaels und Margarita Tsomou laden ein, zu diskutieren, wie das Versprechen des Grundgesetzes von 1949 heute erfüllt und gleichzeitig aktualisiert werden kann, um den derzeitigen Herausforderungen gerecht zu werden.


    Diskutierende:
    Susanne Baer war Richterin am Bundesverfassungsgericht (2011-2023) und ist Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin

    Vanessa E. Thompson ist Professorin für Black Studies and Social Justice am Department of Gender Studies der Queen’s University Kanada. Zusammen mit Daniel Loick brachte sie 2022 bei Suhrkamp den Band “Abolitionismus. Ein Reader” heraus.

    Maximilian Steinbeis, Jurist und Autor, ist Gründer und Chefredakteur des “Verfassungsblog”, der seit 2009 verfassungsrechtliche und rechtspolitische Themen behandelt. Er ist Mitinitiator des “Thüringen-Projekts”, ein Forschungsprojekt, das untersucht, was auf den Rechtsstaat zukommt, wenn eine autoritär-populistische Partei in Thüringen staatliche Machtmittel in die Hand bekommt.

    Cengiz Barskanmaz ist Professor für Recht der Sozialen Arbeit an der Hochschule Fulda mit den Schwerpunkten Antidiskriminierungsrecht, Grund- und Menschenrechte, Rassismuskritik und Intersektionalität.

    Ralf Michaels ist Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg und Professor für Rechtswissenschaft an der Hamburger Universität. Er forscht zu Pluralität von Rechten und in jüngerer Zeit zum Verhältnis von Rechtsstaat und Antisemitismusbekämpfung.

    Die Versprechen des Völkerrechts

    Unter dem Eindruck zweier Weltkriege einigte sich die internationale Gemeinschaft auf überstaatliche Prinzipien, um die Beziehungen zwischen einzelnen Staaten zu verrechtlichen. Daraus erwuchs eine Weltordnung, die in der UN-Charta von 1945 ihren Fluchtpunkt fand und aus der heraus die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Genfer Flüchtlingskonvention und das humanitäre Völkerrechthervorgegangen sind.
    Es ging um Grundprinzipien des Umgangs und der Konfliktlösung zwischen Staaten und damit um eine neue Ordnung der Welt, die ihren Fluchtpunkt in der Charta der Vereinten Nationen von 1945 fand und aus der die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Genfer Flüchtlingskonvention und das humanitäre Völkerrecht hervorgegangen sind. 

    Diesen historischen Errungenschaften ist es zu verdanken, dass heute zwischen Staaten ein allgemeines Gewaltverbot gilt, dass Geflüchtete Schutz genießen sollen und die Zivilbevölkerung bei kriegerischen Auseinandersetzungen zu schonen ist.

    In der ersten Ausgabe der neuen HAU-Diskursreihe “On Justice” geht es um Rückblicke und Ausblicke. Was waren die entscheidenden Zäsuren der völkerrechtlichen Entwicklung? Stehen wir gerade wieder an einer solchen Zäsur? Welche Potenziale stecken im Völkerrecht heute und wie bewährt sich das Völkerrecht im heutigen Handgemenge der Kriege und Krisen? Was lässt die Bilanz der Durchsetzung des Völkerrechts befürchten oder erhoffen? Was kommt - und vor allem: Was tun?

    Es diskutieren:

    Andreas Schüller leitet den ECCHR-Programmbereich Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung. Seit 2009 arbeitet er beim ECCHR unter anderem zu bewaffneten Drohnenangriffen, dem Folterprogramm der USA, Misshandlungen durch britische Soldaten im Irak sowie zu Völkerstraftaten in Syrien, Sri Lanka, Kolumbien und der Ukraine. Er ist europaweit in nationalen Strafverfahren nach dem Weltrechtsprinzip tätig, ebenso vor dem Internationalen Strafgerichtshof und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

    Kristina Hatas ist Fachreferentin für völkerrechtliche und menschenrechtliche Grundsatzfragen bei Amnesty International. Ihr Schwerpunkt liegt dabei u.a. auf den Themen Klimagerechtigkeit, Wirtschaft du Menschenrechte und Menschenrechte im digitalen Zeitalter. Die studierte Völkerrechtlerin hat zuvor am Hertie Centre for Fundamental Rights gearbeitet und geforscht.

    Dr. Nahed Samour ist Rechts- und Islamwissenschaftlerin und forscht an der Radboud University. Sie studierte an den Universitäten Bonn, Birzeit/Ramallah, London (SOAS), Berlin (HU), Harvard und Damaskus. Von 2014 bis 2018 lehrte sie als Junior Faculty am Harvard Law School Institute for Global Law and Policy. Von 2019-2022 war sie Core Emerging Investigator am Integrativen Forschungsinstitut Recht & Gesellschaft der Humboldt-Universität zu Berlin.

    Prof. Dr. Matthias Goldmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Internationales Recht an der EBS-Universität. Außerdem ist er Wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Recht und die politische Ökonomie des Finanzwesens sowie die Theorie und Geschichte des Europa- und Völkerrechts, insbesondere deren koloniale Vergangenheit.

    Moderation:
    Armaghan Naghipour ist Rechtsanwältin im Migrations- und Antidiskriminierungsrecht und ehemalige Staatssekretärin für die Bereiche Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung im Land Berlin. Naghipour ist im Vorstand der neuen deutschen Organisationen und Gründerin der Berliner Regionalgruppe des Vereins Anwältinnen Ohne Grenzen.

    Kann eine plurale Gesellschaft verteidigt werden, indem wir uns wieder stärker auf eine universelle Gleichheit vor dem Gesetz stützen? In der Reihe “On Justice” möchte das HAU das Recht als zivilgesellschaftliches Instrument für progressive Bewegungen und Kämpfe um Gerechtigkeit thematisieren. Welche Potenziale bergen juristische Mittel, um Inhalte der “Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte” sowie durch die Verfassung garantierte Grundrechte im Gerichtsaal durchzusetzen? Wann und wie kann das Recht aber auch genutzt werden, um auf legalem Wege autoritäre Verengungen einzuführen? Wie steht es heute um das Asylrecht, das Internationale Recht oder die Meinungs- und Versammlungsfreiheit? Wie sähe ein Recht der Zukunft aus im Kontext von Klimakatastrophe, sexualisierter Gewalt, der sich zuspitzenden Militarisierung und wachsenden sozialen Spaltungen?

    Um diese Fragen zu untersuchen und sich sowohl rechtstheoretischen Fragen als auch konkreten juristischen Fällen zu widmen, bringt das HAU in der Diskussionsreihe “On Justice” in Kooperation mit dem “European Center for Constitutional and Human Rights” (ECCHR) Jurist*innen oder Ankläger*innen mit Gesellschaftstheoretiker*innen, Journalist*innen, Künstler*innen und Aktivist*innen zusammen.

    Credits

    Eine Diskussionsreihe des HAU Hebbel am Ufer in Kooperation mit dem ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights). Gefördert im Rahmen des Bündnisses internationaler Produktionshäuser von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.